Boys Space
„Once upon a time, the whole world felt like a man's locker room: the corporate board room, the operating theatre in a hospital, the law firm, the professoriat. [...] Basically, the internet is the last locker room.”
Michael Kimmel
Fotos: Judith Buss
In ihrem Werkzyklus Neue Männer*bewegung befasst sich THE AGENCY mit den Zusammenhängen von patriarchaler Männlichkeit und rechtem Denken im post-digitalen Zeitalter. Wie wird extremistische Radikalisierung durch Filterblasen und Echokammern begünstigt? Wie sind Algorithmen an Diskriminierung beteiligt? Inwiefern ist Gedankengut aus digitalen Räumen wie 4chan oder Breitbart News an der Entstehung und Ausübung von Gewalt beteiligt – online und offline?
In BOYS SPACE, die zweite Arbeit innerhalb dieser Werkgruppe, unternimmt THE AGENCY den Versuch, die Rolle von Männlichkeit in Radikalisierungsprozessen zu durchschauen und zu unterlaufen. Online und offline entsteht ein alternativer Space, der den Exit aus der patriarchalen Männlichkeit ermöglichen soll. Die Losung “boys will be boys” gilt hier nicht mehr. Im BOYS SPACE treffen Zuschauer*innen als "Male Character" ihren „Empathy Partner“ und begegnen den Confessions weiterer User*innen. So bekommen sie Gelegenheit, sich an der Entwicklung des BOYS SPACE zu beteiligen.
Eine Produktion von THE AGENCY und den Münchner Kammerspielen im Rahmen des Festivals "Politik der Algorithmen".
Gefördert durch das Kulturreferat der Landeshauptstadt München und der Kulturstiftung des Bundes.
mit
Heinrich Horwitz, Nile Koetting, Nicolas Bourbaki
Sound Design
Nile Koetting
Technologie
Nicolas Bourbaki
Dramaturgie
Rahel Spöhrer
Künstlerische Produktionsleitung
Sofie Luckhardt
mit Texten von THE AGENCY und Zitaten von Arlie Russel Hochschild, Michael Kimmel, Kathy Acker, Maggie Nelson, Leslie Jamison, Angela Nagle, John Cheney-Lippold
mit besonderem Dank an Arlie Russel Hochschild und Michael Kimmel
mit einem Glossar zur Ausstellung
"Der Alt-Right-Komplex" des HMKV (Hartware MedienKunstVerein) Dortmund, kuratiert von Inke Arns, mit Texten von Inke Arns, Jens Kabisch, Regina Weidmann
HMKV im Dortmunder U, bis 22. September 2019
Teil der Werkreihe MOVEMENTS
Neue Männer*bewegung
“Neue Männer*bewegung” ist ein thematischer Zyklus, der sich dem Zusammenhang von Maskulinität und rechtem Denken im post-digitalen Zeitalter widmet. Die Identität des weißen, heterosexuellen Mannes befindet sich angeblich in einer “Krise”: Er sei verunsichert und wütend angesichts der zunehmenden Infragestellung seiner Privilegien. Gleichzeitig erleben wir nicht nur in Europa und den USA das Erstarken extrem-rechten Gedankenguts, dessen Verbreitung vor allem männlich getragen ist und sich online in Foren und analog in Bewegungen und Parteien organisiert. Wenn wir mit dem US-amerikanischen Soziologen und Männlichkeitsforscher Michael Kimmel davon ausgehen, dass „ein bestimmtes Männlichkeitsverständnis bestimmte politische Einstellungen hervorbringt.“ (Kimmel, 2013) - ließen sich dann durch neue Verständnisse von Männlichkeit auch neue politische Einstellungen hervorbringen? Aus der Analyse dieser Zusammenhänge entstanden die Produktionen Gather up, Man up (2018), Boys Space (2019) und Take it like a Man (2019), die den digitalen und analogen Raum neu besetzen, um eine Gegenbewegung zu entwerfen: Eine Neue Männer*bewegung.
RESEARCH IN JAPAN
Unsere Recherche in Japan im Mai/Juni 2018 und in München im September/Oktober 2018, ermöglicht durch das Stipendium Bloom up vom Rodeo Festival und der Saison Foundation Tokyo, hat sich um das Phänomen Herbivore Männer gedreht. Mit diesem Begriff beschrieb die Soziologin Maki Fukasawa Mitte der Nullerjahre heterosexuelle Männer in ihren Mittzwanzigern bis Mittdreißigern, die nicht einer typischen Karriere, nicht der Rolle des Brotverdieners und Ehemannes nachgehen und - in den westlichen Medien sehr präsent - vielleicht sogar weniger oder keinen Sex mehr haben. Herbivor (= pfanzenfressend) ist buddhistisch assoziiert und wird mit Beschreibungen wie „friedliebend“, „edel“ und „eine höhere geistige Stufe erreichend“ verbunden. Bald wurde der Begriff unter japanischen Politikern zum Schimpfwort für eine Männergeneration, der man die niedrige Geburtenrate und den ökonomischen Untergang des japanischen Staates anlastete: Diese Männer erfüllten ihre Pflichten nicht, sie seien keine Männer, hieß es. Dieses Phänomen, das vollkommen leise vonstatten geht, ist unser Ausgangspunkt: Was passiert, wenn sich Männer wegbewegen von den Rollen, die ihnen Neoliberalismus und Patriarchat zuschreiben? Und was würde geschehen, wenn dieses Phänomen sich zu einer Bewegung entwickeln würde, die über Japan hinausgeht?
RESEARCH IN USA
Den stärksten Kontrast zu den Herbivoren Männern Japans bilden wahrscheinlich die US-amerikanischen Angry White Men, mit denen sich THE AGENCY im Rahmen des Arbeitstipendiums der Stadt München in einer Recherchereise im März/April 2019 auseinandersetzte. Zu den Angry White Men gehören verschiedene Phänomene wie die sogenannten Incels (Involuntary Celibats), deren Forderung nach einem männlichen Recht auf Sex auch die Legalisierung von Vergewaltigung beinhaltet oder die anti-feministischen “Men going their own way”, die sich durch einen “Sexodus” von einer vermeintlichen Weltherrschaft der Frauen befreien wollen. In Interviews mit Michael Kimmel (Angry White Men, 2013 oder Healing from Hate, 2018) und Arlie Russel Hochschild (Strangers in Their Own Land, 2016) ging THE AGENCY dem Komplex von männlichem Anspruchsdenken, einem vermeintlichen Privilegienverlust und überholten Heldenfiguren nach.